Es gibt sie. Überall. Wir begegnen ihnen besonders in der Rechts- und Amtssprache – und im wissenschaftlichen Kontext. Aber auch im täglichen Leben gibt sich diese besondere Spezies des Schreibens ein Stelldichein: Die Schachtelsätze.

Auch Profis lassen sich verführen, solche Sätze in ihren Texten einzufangen. Denn Schachtelsätze sind häufig zuerst ganz dünn und harmlos. Erst, wenn man sie mit vielen Nebensätzen füttert, werden sie lang, wild und unverständlich für den Leser.


Zuerst eine Begriffsklärung. Was ist ein Schachtelsatz?

Ein Schachtelsatz ist ein Satz, der unterschiedliche Gedankenstränge, Fakten, Für und Wider sowie Ausschweifungen und Assoziationen in sehr vielen Nebensätzen, Passivkonstruktionen und Nominalstilen verpackt. 

Man kann sich das so vorstellen, dass es eigentlich einen geraden, schönen und gut gangbaren Weg durch die Gedanken gibt. So wie ein Wanderweg über eine schöne Ebene. Der Schachtelsatz entsteht, wenn man jeden Umweg und alle irreführenden Abkürzungen und Kletterpartien nimmt, um zum gleichen Ziel zu kommen. Schachtelsätze eignen sich „wunderbar“, dazu, Leser in die Irre zu führen, zu ermüden – und frustriert das Buch zuschlagen zu lassen.


Wie entstehen Schachtelsätze?

Schachtelsätze können mehrere Ursachen haben:

  1. Man muss für ein komplexes Thema recherchieren oder über bestimmte komplexe Sachverhalte schreiben. Gerne im Bereich Recht/Jura, Wirtschaft, Wissenschaft oder Verwaltung. Entsprechende Texte werden bis heute häufig in einem Stil geschrieben, der Kompetenz und Autorität ausstrahlen soll – jedoch mit vielen Passiv- und Nominal-Konstruktionen aufwartet. Diese Texte färben natürlich ab.

Die Folge: Recherchierende „übernehmen“ unbewusst diesen Stil, wenn sie zitieren. Manchmal kopieren sie diesen Stil auch ganz bewusst, wenn sie meinen, dass das vom Dozenten oder der Fach-Leserschaft verlangt wird. 

Diese Art zu Schreiben geht auf einen Sprachstil zurück, der in Deutschland im 19. Jahrhundert entstand – und auf eine Haltung, die einen bestimmten komplizierten Stil verlangte, um als wissenschaftlich zu gelten. 

Merke: Komplizierte Inhalte verleiten leicht dazu, einen komplizierten Satzbau zu verwenden – gerade dann, wenn eine einfache Ausdrucksweise zum besseren Verständnis erforderlich wäre.

Stattdessen gilt: Je anspruchsvoller etwas ist, desto einfacher sollten die Sätze gebaut sein.

Es gibt dazu ein wunderschönes Essay in dem Buch von Mark Twain: A tramp abroad. Mark Twain bereiste im 19. Jahrhundert mehrere Monate Europa – und auch Deutschland. Das Essay trägt den Titel: „The awful German language (die schreckliche deutsche Sprache).“

Dazu stellt Twain einen typischen deutschen Satz dieser Zeit vor. Er zieht sich über fast zwei! Seiten. Das war in der Literatur der Kaiserzeit und den angrenzenden Stilepochen leider keine Ausnahme. Hinzu kommt die für die deutsche Sprache typische Eigenschaft (im Gegensatz zum Englischen), dass das alles erklärende und auflösende (erlösende 😊) Verb meistens erst am Satzende steht. Man muss sich also erst durch zwei Seiten kämpfen, um zu erfahren, um was es überhaupt geht.

  • Man hat keine Zeit. Je weniger Zeit man dafür hat, einen Text zu verfassen, umso „ungeordneter“ und „ungeplanter“ sind die Sätze. Sie erscheinen dann als eine lange „Reihung“ von Gedanken, fast atemlos. Erst, wenn man sich die Zeit nimmt, die Gedanken zu strukturieren, bekommt man auch einen strukturierten Text. Einen Satz nach dem anderen. 

Es hilft daher, den Text wegzulegen – und ihn erst einige Zeit später und mit etwas Abstand noch einmal zu bearbeiten. Im Abstand kann man den Blickwinkel eines „neuen Lesers“ einnehmen. Man erkennt, an welcher Stelle es logische Ungereimtheiten, sprunghafte Gedankenfolgen und abgebrochene Erzählstränge gibt – und wo man als Leser einfach verloren geht.

  • Man hält sich an die „Regeln“ der Schulzeit. Erinnert Ihr Euch? In Aufsätzen und Nacherzählungen sollten wir möglichst viele „ausschmückende Verben und Adjektive“ verwenden. Wir sollten unseren Wortschatz präsentieren – und zeigen, dass wir das Prinzip der „Erläuterung“ mit allen Für und Wider gelernt und verstanden haben. Wir sollten zeigen, dass wir die Prinzipien des Satzbaus und der Grammatik beherrschen. Das Ergebnis ist häufig ein „Leistungsnachweis-Text“, der künstlich aufgebauscht und verschachtelt ist und sich sehr umständlich liest.
  • Man geht planlos vor. Man hat sich im Vorfeld zu wenig Gedanken gemacht, für wen man schreibt, was man mit dem Text erreichen will und was man genau aussagen möchte. Man ist sich noch nicht ganz klar, was man eigentlich schreiben möchte oder in welche Richtung die Argumentation gehen soll. Genau diese innere Unsicherheit spiegelt sich dann in einem unpräzisen Schreibstil wider. 
  • Man kann nicht priorisieren und wird von der Fülle an möglichen Argumenten und Gedankensträngen überwältigt. Leicht verfällt man dann in den Modus, dass man komplizierte Themen auch kompliziert wiedergibt.

Es gibt Abhilfe! So vermeiden wir Schachtelsätze:

  1. Ein Satz besteht aus: Subjekt (der/die Handelnde), Prädikat (das Verb), Objekt (Satzerweiterung). Wir beantworten die Frage: Wer (Subjekt) tut was? Was passiert wem wo, wann, wie? Halten wir uns daran.
  2. Lassen wir verführerische Nebensätze gar nicht erst in unseren Text. 
  3. Bleiben wir aktiv und vermeiden wir Passiv-Konstruktionen: 
    Beispiel: Die Tür wurde von dem Mann geöffnet. Besser: Der Mann öffnete die Tür. 
  4. Vermeiden wir Partizipien.
    Beispiel: „Der vom Hund gejagte Ball, prallte, nachdem er rollend in der Gosse landete, gegen das Gartentor.“ 
    Besser: Der Hund jagte dem Ball nach. Der rollte in die Gosse und prallte dann gegen das Gartentor.
  5. Nehmen wir uns Zeit.
    Schlüsseln wir genau auf, was genau wir sagen wollen, jede einzelne Information. Jeden einzelnen Gedanken. Je besser wir wissen, was wir wollen – umso klarer sind unsere Gedanken – und Sätze. 
  6. Gehen wir dann Schritt um Schritt vor: Wir verpacken jeden neuen Gedanken und jede neue Information in einen eigenen Satz. Das gilt besonders dann, wenn man unterschiedliche Standpunkte gegeneinander abwägen möchte.
  7. Arbeiten wir „gehirngerecht.“
    Auch das führt zu einem angenehmen Leseerlebnis. Gehirngerecht arbeiten heißt, dass uns im Arbeits- und Kurzzeitgedächtnis nur eine bestimmte „Zeitspanne“ bewusst ist. Das gilt für Simultandolmetscher ebenso wie für Autoren. Besonders, wenn diese Autoren für „eilige, leicht-ablenkbare“ InternetleserInnen schreiben. „Gehirngerechte“ Intervalle dauern ca. 3 Sekunden – der empfohlene „Abstand“ für Dolmetsch-Inhalte. Für ein gutes Textverständnis heißt das, dass zwischen Subjekt und Prädikat nur ca. 6-8 Worte stehen sollten. Diese 6-8 Worte kann ein Leser im Kopf behalten. Sie entsprechen passenderweise ca. 3 Sekunden. Alles was darüber hinaus geht, wird wieder vergessen oder ist nicht mehr für eine „innere Argumentation“ unmittelbar präsent und muss noch einmal gelesen werden.

Jetzt wenden wir die Punkte 1-7 an:

In diesem Text stirbt nicht nur Tanja vor Sehnsucht nach Erlösung: 

Beispiel: „Tanja, die jahrelang auf ein Zeichen seiner Zuneigung, zuerst in den Pausen, die zwischen den Schulstunden lagen, dann während sie alle in der Mensa für ihr Mittagessen anstanden, gewartet hatte, sollte nun endlich, nachdem sie schon längst die Hoffnung aufgegeben hatte, ein Blick seiner feurigen Augen treffen.“

In diesem Text wünschen wir Tanja eigentlich einen neuen Schwarm, der sie nicht so lange warten lässt 😊, doch immerhin baut er eine Spannung auf, die uns vielleicht weiterlesen lässt:

„Tanja hatte jahrelang auf ein Zeichen seiner Zuneigung gewartet. Zuerst während der Schulpausen. Später dann auch während sie alle in der Warteschlage in der Mensa für ihr Mittagessen anstanden. Sie hatte schon längst die Hoffnung aufgegeben. Doch nun blickte er sie mit seinen feurigen Augen an…“

  • Halten wir Aufzählungen kurz und/oder gliedern sie sinnvoll: zum Beispiel mit einem Doppelpunkt – oder mit Gedankenstrichen. Oder wir sortieren gleichartige Dinge gleich in einen eigenen Satz.

    Beispiel: „Instrumente wie Schlagzeug, E-Gitarre, Bass-Gitarre, Schlagzeug und Keyboard, von besonderen je nach Belieben hinzugefügten Instrumenten wie Saxophon, Violine, Didgeridoo, Steel-Drum oder Triangel einmal abgesehen, gehören, neben der Technik wie Mischpult, Mikrophonen, Verstärkern, Stativen und Effektgeräten, zu der Grundausstattung einer Band.“

    Besser: „Zu der Grundausstattung einer Band gehören Instrumente wie: Schlagzeug, E-Gitarre, Bass-Gitarre, Schlagzeug und Keyboard. Nach Belieben können besondere Instrumente wie Saxophon, Violine, Didgeridoo, Steel-Drum oder Triangel hinzukommen. Und natürlich darf die Technik nicht fehlen mit: Mischpult, Mikrophonen, Verstärkern, Stativen und Effektgeräten.
  • Vermeiden wir Nominalstil und Wortreihungen. Sie bauen eine „formelle Distanz“ auf. Der Text liest sich unnötig „aufgebläht.“ 

    Beispiel: Das Schreiben eines Protokolls entspringt häufig unserem Bestreben, die Einhaltung der Konferenzablauf-Vorgaben zu demonstrieren.

    Besser: Häufig schreiben wir ein Protokoll, um zu zeigen, dass wir die Vorgaben zum Ablauf der Konferenz, eingehalten haben. 
  • Schreiben wir bewusst: Bleiben wir bei unserem Textstil treu.
    Das gilt besonders dann, wenn er sich vom Textstil unserer Recherchequelle unterscheidet.

Versetzen wir uns in die Lage des Lesers

Autoren sind immer auch LeserInnen. Wann legen wir ein Buch beiseite, ohne das Ende abzuwarten? Genau. Immer dann, wenn wir uns durch den Text kämpfen müssen. Uns Fußnoten, Nebensätze und Klammern nerven.

Wir wollen, dass man unsere Texte liest? Dann lasst uns verständlich, einfach – und unterhaltsam schreiben. Auch – und besonders – dann, wenn wir uns mit wissenschaftlichen, rechtlichen oder verwaltungstechnischen Inhalten befassen.

Viel Spaß beim Schreiben und Anwenden der Tipps!